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Würdest du für deinen Arbeitgeber hungern?

Posted in Employer Branding, Mission Sustainable, Nachhaltiges HR Management, and Organisationsentwicklung

Ich gebe zu, der Titel dieses Beitrags ist etwas reißerisch. Eigentlich wollte ich nur sagen, dass Sinn ein kraftvoller Motivator sein kann: Im Extremfall verdrängen Menschen für ein starkes Sinnangebot sogar die physiologischen Grundbedürfnisse der Maslow’schen Bedürfnishierarchie zugunsten ihrer Ideale und sozialen Ziele, hungern sich zu Tode oder sprengen sich in die Luft. 

Der Normalfall sieht zum Glück anders aus: Die meisten Menschen gehen zur Arbeit, um sich ihre Brötchen zu verdienen und gerade nicht zu hungern. Allerdings, in einer Gesellschaft, in der die Grundbedürfnisse mehr als befriedigt sind und es für manche Berufsbilder einen Fachkräftemangel und „War for talents“ gibt, geht es nicht nur um einen Austausch von Arbeitszeit gegen Entlohnung. Es geht auch um Sinn, Gestaltungs- und Entwicklungsmöglichkeiten, die eng mit der intrinsischen Motivation und emotionalen Bindung an das Unternehmen verbunden sind. Der Mensch lebt eben nicht vom Brot allein.

Purpose, Arbeitgeberattraktivität und Motivation

Die Existenz(berechtigung) und der gesellschaftliche Nutzen von Unternehmen beruht zunächst darauf, dass sie Markt- und Kundenbedürfnisse befriedigen und Arbeitsplätze schaffen. Auf ihre Attraktivität als Arbeitgeber wirken ihr Bekanntheitsgrad, die angebotenen Produkte und Dienstleistungen, ihre Reputation, die Arbeitsbedingungen, die Möglichkeiten des Einzelnen zur Weiterentwicklung sowie die vertretenen Werte. Nicht-nachhaltiges Verhalten, Missstände oder sogar Skandale im sozialen oder ökologischen Bereich wirken sich negativ auf den Umsatz, die Arbeitgeberattraktivität, Mitarbeiteridentifikation und das Engagement aus.

Einen Vorteil bei der Gewinnung und Motivation von Arbeitnehmern sagt man Organisationen nach, die darüber hinaus einen motivierenden Sinn, auf Neudeutsch „Purpose“, bieten können. Darunter fallen alle Unternehmen, die sich nicht auf die Profitmaximierung beschränken, sondern gleichzeitig einen wertvollen Beitrag in der sozialen oder ökologischen Dimension leisten wollen, wie es z.B. zertifizierte B Corporations tun. Diese sind rechtlich dazu verpflichtet, die Auswirkungen ihrer wirtschaftlichen Aktivität auf ihr Umfeld und Anspruchsgruppen wie Mitarbeiter, Kunden, Lieferanten, die Gesellschaft und Umwelt zu berücksichtigen. Es gilt die Triple-Bottom-Line mit angestrebtem Gewinn in allen drei Bereichen “People, Profit, Planet”. Mitarbeiter, Umwelt und Gesellschaft sind nicht nur Kostenfaktoren und Mittel zum Zweck, sondern selber Zwecke. Es geht um einen breiten Stakeholder-Value, nicht nur um Shareholder-Value. B Corporations können durch ihre sinnstiftenden Unternehmenszwecke auch gegenüber großen, etablierten Unternehmen bei der Gewinnung von Nachwuchskräften punkten. Kompromissbereitschaft bei der Vergütung ist wahrscheinlicher, wenn die Tätigkeit einem guten Zweck dient. Anders ließe sich auch ehrenamtliches Engagement nicht erklären.

Da Sinn viel Energie freisetzen kann und zugleich die Möglichkeit zur Orientierung und Fokussierung der Unternehmenstätigkeit in eine gewünschte Richtung bietet, haben auch viele große Konzerne in den letzten Jahren den „Purpose“ als motivierendes Leitbild für sich entdeckt. Das Formulieren eines überzeugenden Sinns gelingt allerdings nicht immer. Ein ehrliches Engagement in Bezug auf eine nachhaltige Entwicklung und Investitionen in zukunftsfähige Produkte, die Mitarbeiter und gute Arbeitsbedingungen stellen dann bessere Alternativen zur Steigerung der Arbeitgeberattraktivität und Mitarbeiteridentifikation dar. Auch kleine und mittlere Unternehmen, die auf die gesamtgesellschaftliche Entwicklung per se einen geringeren Einfluss ausüben können als multinational agierende Konzerne, haben hier Handlungsspielräume und können zu einer nachhaltigen Entwicklung beitragen, ohne unbedingt einen höheren “Purpose” formulieren zu müssen. Wichtig ist, dass “Queen” Authentizität in der Kommunikation herrscht, wo “King” Social Media regiert (oder umgekehrt). Es reicht heute nicht mehr aus, sich nachhaltiges Verhalten, Diversity oder einen sinnstiftenden Purpose auf die Fahnen zu schreiben, wenn die unternehmerische Praxis und Unternehmenskultur nach anderen Gesetzen funktionieren.

Nachhaltigkeit und Arbeitgeberattraktivität

Eine Studie der Königsteiner-Gruppe (April 2020) zum Umweltbewusstsein in deutschen Unternehmen hat ergeben, dass über 60 % der Mitarbeiter die Haltung ihres Arbeitgebers zu Klimafragen wichtig ist und für 52 % der Befragten zu den drei wichtigsten Entscheidungskriterien bei einem Jobwechsel zählt. Dies entspricht auch meinen eigenen Beobachtungen als HR Managerin: In Bewerbungsgesprächen hinterfragen Berufseinsteiger immer häufiger die Nachhaltigkeit des Produkts bzw. der Dienstleistung des künftigen Arbeitgebers. Das verwundert nicht, denn viele Studiengänge bilden bereits mit Schwerpunkt oder Zusatzmodul „Sustainability“ aus. Der Bildungssektor ist – wie sich auch an der Bewegung „Fridays for Future“ zeigt – schneller als die gesamtgesellschaftliche Transformation zu mehr Nachhaltigkeit.

Auf den großen Stellenbörsen wie Stepstone und Indeed taucht „Nachhaltigkeit“ bisher nur als Filtermöglichkeit bei den Kompetenzen auf. Es gibt aber bereits ein paar Nischen-Jobbörsen, die speziell „Jobs mit Sinn“ bei Unternehmen auflisten, welche die Themen Ökologie und Corporate Social Responsibility in ihre Geschäftsmodelle integrieren (z.B. Jobverde.de, goodjobs.eu, greenjobs.de). Auf der Unternehmensbewertungsplattform kununu wird auch die Haltung der Unternehmen zu Nachhaltigkeitsthemen wie Gleichberechtigung und das Umwelt- und Sozialbewusstsein bewertet. Die Ergebnisse dieser Bewertungen können die Entscheidungen von Bewerbern für oder gegen ein Unternehmen beim Jobwechsel beeinflussen.

Bisher müssen Arbeitnehmer mit Nachhaltigkeitsorientierung bei der Jobsuche und im Unternehmensalltag noch Kompromisse eingehen. Unternehmen, die einen verantwortungsvollen Umgang mit Mitarbeitern, Partnern, Kunden und der Umwelt nachweisen können, steigern aber ihre Auswahlmöglichkeiten und haben gute Argumente bei der Gewinnung von Talenten – vielleicht gerade bei der Gewinnung derjenigen, die für den Erfolg wichtig sind und die es sich leisten können, bei der Jobwahl picky zu sein.

Wie viel Sinn muss sein?

Sinnfindung findet letztlich auf der individuellen Ebene statt. Am Arbeitsplatz bringen Menschen oft nur einen Teil ihrer Persönlichkeit ein. Sinn kann auch außerhalb der Organisationsmauern gefunden werden und Geldverdienen als Zweck im Berufsalltag völlig ausreichen. Außerdem ist eine individuelle, intrinsische Motivation auch ohne einen das Allgemeinwohl steigernden Organisationszweck möglich. Förderlich auf die Arbeitsmotivation, und damit auch auf die Leistung, wirken sich die Arbeitsinhalte, Erfolgserlebnisse, Wertschätzung, Verantwortung, Entwicklungsmöglichkeiten und Beförderungen aus, wie Frederick Herzberg auf Basis seiner Forschungen in “Motivation to Work” nachwies. Trotzdem, ein “echter” Purpose trägt zur Identifikation mit dem Unternehmen bei, wenn er mit den eigenen Werten korrespondiert oder diesen zumindest nicht zuwiderläuft. Dieses primäre Matching zu gewährleisten, ist ein Fall für die Personalauswahl. Natürlich garantiert auch ein höherer Zweck nicht automatisch, dass die Mitarbeiter die Arbeit ihrer Abteilung, den Job und die Arbeitsabläufe als sinnvoll und motivierend empfinden oder dass diese wirklich auf den übergeordneten Zweck einzahlen. Dafür zu sorgen und den Sinn zu vermitteln, ist Aufgabe der Führungskräfte.

Ein Unternehmenszweck, bei dem Sinn vor Gewinn geht und der einen positiven ökologischen oder sozialen Impact auf die Welt hat, kann große motivationale Kräfte freisetzen. Viele Unternehmen können das allerdings mit ihren Produkten und Dienstleistungen aktuell noch nicht leisten. Im Idealfall fangen sie an, über nachhaltigere Produktinnovationen (z.B. mit Design Thinking) nachzudenken und Herstellungsprozesse effizienter, sozial verträglicher und umweltschonender zu gestalten.

Unabhängig vom bestehenden Geschäftsmodell, bietet das Thema Nachhaltigkeit aber für alle Organisationen Anknüpfungspunkte, die eine höhere Mitarbeiteridentifikation und Arbeitgeberattraktivität anstreben. Über die Gestaltung einer nachhaltigen Unternehmenskultur mit einer Orientierung an Werten wie Fairness, Diversity, Umweltbewusstsein, Transparenz, Partizipation und Vertrauen sowie gesunder Arbeitsbedingungen und spannender Entwicklungsmöglichkeiten für die Mitarbeiter können authentische, positive Inhalte für die Employer Brand geschaffen werden. Über Leistungsfaktoren wie die Personalgewinnung, Innovationsfähigkeit, Mitarbeiterbindung und das Mitarbeiterengagement wirkt die Investition in eine nachhaltige Unternehmenskultur positiv auf den ökonomischen Erfolg zurück.

Um der Brot-Metapher in diesem Beitrag treu zu bleiben: Es können kleinere und größere Brötchen für eine nachhaltige Entwicklung gebacken werden. In diesem Fall ist dann mehr auch endlich mal mehr. Nachhaltigkeit ist ein globales Ziel, das auf Kooperation angewiesen ist und einen Purpose mitliefert, der über Einzelinteressen und individuelle Unternehmenszwecke hinausreicht. Es geht darum, die natürlichen Lebensgrundlagen zu erhalten und weltweit bessere Lebensbedingungen zu schaffen – ökonomisch, ökologisch, sozial. Damit Hungern auch in Zukunft und überall auf der Erde nur als freiwilliger Hungerstreik stattfindet.

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