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„Kulturschock“ Berufseinstieg und was Kickertische in Start-ups damit zu tun haben

Posted in New Work, Onboarding, Organisationsentwicklung, and Unternehmenskultur

Der Ursprung der Idee, Kickertische in Unternehmen einzuführen, ist nicht eindeutig geklärt, aber er ist eng mit der aufstrebenden Tech- und Start-up-Szene im Silicon Valley der späten 1990er und frühen 2000er Jahre verbunden. Zu dieser Zeit wurden solche Freizeitaktivitäten eingeführt, um eine positive Arbeitsatmosphäre zu fördern und talentierte Mitarbeitende anzuziehen. Der Kickertisch symbolisiert dabei mehr als nur ein lockeres Spiel zwischen Kolleg:innen – er steht für eine Kultur des Teamgeistes und flacher Hierarchien. Mitarbeitende unterschiedlicher Positionen kommen hier auf Augenhöhe zusammen, um Ideen auszutauschen und kreative Prozesse anzuregen. Der Kickertisch fördert die Kommunikation, Entspannung und ein Gefühl der Zugehörigkeit. Er ist der Ort, an dem der Geist der Innovation erwacht und neue Ideen sprudeln…….

Wirklich? Okay, glauben wir es, bestimmt war das irgendwann einmal irgendwo genau so der Fall!

Flächendeckend hat sich der Kickertisch als „Corporate Benefit“ nicht als wundersamer Talent-Magnet entpuppt. Aber vielleicht war das auch nie sein Anspruch – ein Benefit für die Personalgewinnung zu sein? Vielleicht sollte der Kickertisch eher als unternehmenskulturelles Artefakt verstanden werden, als Ikone für eine spezifische Ära der Start-up-Kultur, die für eine offene, informelle und teamorientierte Arbeitsatmosphäre steht. In diesem Fall fungiert der Kickertisch als Erkennungsmerkmal für eine bestimmte Richtung von Unternehmenskultur und kann als solches eine gewisse Anziehungskraft ausüben, zumal wenn sich die Ideen auch in weiteren Artefakten wie Dresscode, Sprache oder Kreativräumen widerspiegeln und die Ideen und Werte dahinter im besten Fall auch gelebt werden. Junge Berufseinsteiger:innen können sich davon durchaus angesprochen fühlen, verlangen etabliertere Unternehmen ihnen doch häufiger größere Anpassungsleistungen ab. 

I. „Kulturschock“ Berufseinstieg:

Der Wechsel von der Universität ins Berufsleben bedeutet mehr als nur einen neuen Job anzutreten. Es bedeutet, Teil eines völlig neuen sozialen Systems zu werden, das von eigenen Regeln, Normen und Erwartungen geprägt ist. Der Start in die Arbeitswelt kann Berufseinsteiger:innen daher vor einige Herausforderungen stellen, die einem kleinen „Kulturschock“ ähneln können. 

1. Erfahrung von Kompetenzverlust: 

Gerade haben die jungen Talente erfolgreich ihren Master- oder Bachelor-Abschluss erworben, vielleicht sogar eigene Forschungsarbeiten für ihre Abschlussarbeiten durchgeführt, und sie beginnen voller Vertrauen auf ihre Kompetenz ihren ersten richtigen Job. Doch was ist das? Plötzlich prangt ein “Junior” vor dem Titel des erwachsenen Menschen und sie finden sich “ganz unten” wieder, und müssen ihre Kompetenz mühsam beweisen. 

Und was ist eigentlich mit dem an der Universität erlernten aktuellen Wissen? Vieles davon findet möglicherweise keine Anwendung im Unternehmen, geht in Routinearbeiten unter oder stößt bei den alten Hasen und Häsinnen auf taube Ohren, weil diese keine Lust auf neue Ansätze verspüren. Dazu kommen andere Beurteilungskriterien von Leistung: Während an Universitäten viel Wert auf die Qualität von Ergebnissen gelegt wurde, kann im Unternehmenskontext das Einhalten von festen Deadlines Abstriche notwendig machen. Die Berufseinsteiger:innen müssen erst herausfinden, was das richtige Verhältnis von Qualität und Schnelligkeit im jeweiligen Kontext ist. 

2. Hierarchien und altersgemischte Teams: 

In der Universität bewegen sich Studierende überwiegend in ihrer Peer-Group mit Personen gleichen Alters, gleicher Interessen, Werte und Einstellungen, doch jetzt treffen sie im Unternehmen auf Menschen anderer Altersgruppen und in unterschiedlichen Lebensphasen. Ein bunter Mix an Erfahrungen und Charakteren erwartet sie, und hier können Verunsicherung und Berührungsängste im Umgang miteinander auftreten. 

An der Universität herrschte oft eine lockere Atmosphäre, wo Lehrende vielleicht sogar mit Vornamen angesprochen wurden und auf Augenhöhe diskutiert wurde. Am Arbeitsplatz begegnen den Berufseinsteiger:innen nun mehr oder weniger definierte Hierarchien. Es kann unklar sein, wer wen wann über welche Kommunikationswege kontaktieren darf oder auch sollte. Die Unsicherheit beginnt oft schon bei der Anrede, vor allem, wenn nicht klar geregelt ist, wer geduzt werden kann oder will und wer nicht. 

3. Sprache:

Jedes Unternehmen verwendet seine eigenen Abkürzungen, Kennzahlen und branchentypischen Fachjargon in der täglichen Kommunikation. Gerade für Einsteiger:innen aus branchenfremden Studiengängen kann es am Anfang wichtig sein, die neuen Begriffe zu lernen, um sich kompetent zu fühlen. 

An Schulen und anderen Bildungseinrichtungen wie Universitäten, insbesondere in Fachrichtungen innerhalb der Geisteswissenschaften, Pädagogik und Sozialwissenschaften, wird mittlerweile oft gendersensible Sprache verwendet, um eine inklusive Umgebung zu fördern und geschlechtsspezifische Stereotypen zu vermeiden. Wirtschaftsunternehmen hinken dieser Entwicklung oft noch hinterher. Auch das kann zu einer Wertekollision bei Berufseinsteiger:innen führen.

4. Selbstbestimmung:

Für Studierende ist es üblich, eine hohe Selbstbestimmung in Bezug auf die Organisation ihrer Arbeit, die Zeiteinteilung und den Ort ihres Lernens und Arbeitens zu haben. Es gibt zwar fixierte Termine für Vorlesungen, Seminare und Prüfungen, doch das selbstständige Lernen und die Bearbeitung von Projekten und Hausarbeiten gestalten sich oft flexibel. Diese Freiheiten können natürlich je nach Universität und Studienfach variieren, da einige Studiengänge strukturierter und zeitintensiver sind als andere. Trotzdem bietet das Studium oft die Möglichkeit, von zu Hause aus oder von anderen Orten zu arbeiten, was Studierenden eine erhebliche Freiheit bei der Wahl des Arbeitsortes und Arbeitszeiten gewährt. Im Gegensatz dazu, sind Angestellte oft stärker an festgelegte Arbeitszeiten und -orte gebunden. Zwar gewinnen Homeoffice und flexible Arbeitszeiten in Unternehmen zunehmend an Popularität, doch ist das Maß an Selbstbestimmung oft geringer als im Studium. 

5. Dresscode:

Arbeitsbekleidung spielt eine zentrale Rolle in vielen Berufen – sie sichert Sicherheit in Industrie und Handwerk, gewährleistet Hygiene in der Medizin und Gastronomie und fördert Erkennbarkeit in Serviceberufen oder im Sicherheitsdienst. In anderen Branchen hingegen orientieren sich Kleidungsvorschriften eher an gesellschaftlichen Normen und können je nach Kontext variieren, was zu Unsicherheiten führen kann. Vom lässigen, individuellen Uni-Look zur formellen Bekleidung im Unternehmen: Manch eine oder einer muss seine ganze Garderobe teuer überarbeiten, nur um sich im Arbeitsalltag dann verkleidet zu fühlen. Daher ist es hilfreich, wenn Berufseinsteiger:innen wissen, was wirklich erwartet wird.

II. Maßnahmen, um den “Kulturschock” zu verringern

Welche Maßnahmen können Unternehmen ergreifen, um den Übergang in das Berufsleben für Berufsanfänger:innen zu optimieren und das Erleben eines Kulturschocks zu minimieren? Im Folgenden habe ich einige Ideen für Ansätze gesammelt, die natürlich nicht nur im Falle eines Berufseinstiegs von Nutzen sind, sondern generell einen wertvollen Beitrag zur Eingliederung neuer Mitarbeiter:innen leisten können.

  1. Bereits im Recruitingprozess und während des Onboardings sollten viele Fragen zum Miteinander im Unternehmen geklärt werden, um Unsicherheiten zu reduzieren. Es ist wichtig, dass Unternehmen bereits im Bewerbungsprozess ihre Erwartungen klar formulieren und ihre Unternehmenskultur ausführlich beschreiben. Dann gibt es später weniger Enttäuschungen.
  1. Mentoring- und Patenprogramme sowie Reverse-Mentoring können für einen inspirierenden Wissensaustausch sorgen. Eine erfahrene Mitarbeiterin oder ein erfahrener Mitarbeiter kann als Mentor oder Mentorin für den Newbie dienen und dabei helfen, das Unternehmen und seine Kultur kennenzulernen. Dies kann auch dazu beitragen, die Lücke zwischen der akademischen Welt und der Arbeitswelt zu überbrücken und das Selbstvertrauen der Berufseinsteiger:innen zu stärken. Reverse-Mentorings tragen dazu bei, Hierarchien abzubauen und eine Kultur des gegenseitigen Respekts und Lernens zu fördern. Es bietet jüngeren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eine Gelegenheit, ihren Beitrag zum Unternehmen zu leisten und ihr neues, an den Universitäten erworbenes Wissen sowie ihre digitalen Fähigkeiten zu teilen. Erfahrene Mitarbeitende gewinnen durch dieses Verfahren einen Einblick in die Werte und Erwartungen der jüngeren Generation. Der gesamten Belegschaft kann so bewusst gemacht werden, dass altersgemischte Teams eine reiche Vielfalt an Erfahrungen, Fähigkeiten und Perspektiven besitzen, die sich gegenseitig befruchten und zu innovativeren Lösungen und besseren Entscheidungen führen können.
  1. Es bleibt für neue Mitarbeitende oft unklar, was unter “Business Casual”, “Come-as-you-are” oder einem „formellen Kleidungsstil“ im Unternehmen genau zu verstehen und wann welcher Stil angemessen ist. Daher ist es wichtig, über die spezifischen Erwartungen im jeweiligen Arbeitsumfeld zu informieren. Die Bedeutung eines bestimmten Dresscodes oder auch die Pflicht für eine bestimmte Arbeitsbekleidung kann sich je nach Arbeitsumgebung und konkreter Situation erheblich unterscheiden. Muss es überhaupt einen bestimmten Dresscode geben oder kann viel Raum für Individualität gelassen werden? Dann sollten Aufstiegschancen aber auch nicht von Kleidernormen abhängig gemacht werden. Reicht es vielleicht aus, einen groben Rahmen für Kundentermine oder repräsentative Veranstaltungen vorzugeben? Durch die Bereitstellung von Informationen zum Dresscode können Unternehmen dazu beitragen, Unsicherheiten zu beseitigen. 
  1. Unternehmen können die Flexibilität und Selbstbestimmung ihrer Mitarbeitenden durch eine Reihe von Maßnahmen steigern, wie z.B. flexible Arbeitszeitmodelle, Teilzeit und Job-Sharing, Sabbaticals, oder selbstgesteuerte Teams. Mobiles Arbeiten und Homeoffice sind dank digitaler Technologien möglich, während diversifizierte Schichtsysteme, Zeitwertkonten und Jahresarbeitszeitmodelle weitere Anpassungsoptionen bieten. 

III. Kickertisch, Start-ups und junge Talente

Start-ups punkten bei Berufseinsteiger:innen nicht durch einen Kickertisch, sondern durch ihre kulturelle Nähe. Junge Teams – die Altersdiversität in Start-ups ist in der Regel ausbaufähig – sowie eine informelle Atmosphäre, After-Work-Parties und ein lockerer Dresscode sorgen für eine entspannte Arbeitsumgebung. Flexible Arbeitszeiten und -orte durch Digitalisierung sowie flache Hierarchien bieten Eigenverantwortung und Initiative. Cross-funktionale Arbeit ermöglicht den vielseitigen Einsatz von Fähigkeiten. Und statt traditioneller “Junior”- oder “Assistent”-Titel werden oft direkte Rollenbezeichnungen verwendet, was Wertschätzung vermittelt. Solche Faktoren machen Start-ups für junge Talente attraktiv – egal welche Ecken und Kanten die Kultur in der Praxis am Ende tatsächlich aufweisen kann.

Und der Kickertisch? Er bleibt nur ein typisches Artefakt und eine Ikone dieser Kultur: Schließlich ist es auch viel einfacher und bequemer, am Kickertisch in Jeans und T-Shirt zu spielen als im traditionellen Business-Anzug oder Kostüm. 

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