Personalauswahlprozesse sind von Natur aus Diskriminierungsprozesse. Ganz einfach, weil Unternehmen es sich grundsätzlich aussuchen können, wer bei ihnen Mitglied werden darf und wer nicht. Während es bei anderen Eignungstests möglich ist, dass mehrere Teilnehmer*innen alle Fragen richtig beantworten und mit der Bestnote abschließen, bekommt im Bewerbungsprozess am Ende nur eine*r den Job. Schlimmer: Es bekommt auch nicht unbedingt immer der oder die (fachlich) Beste den Job. Die Gründe hierfür können ganz unterschiedlich sein: Gehaltsvorstellungen, die nicht zum Budget des Unternehmens passen, eine beschränkte Aussagekraft der Auswahlverfahren, unklare oder irrelevante Auswahlkriterien, Beurteilungsfehler, die missglückte Selbstdarstellungen des einen Bewerbers oder die besonders gelungene Selbstdarstellung eines anderen. Aber auch (zwischen)menschliche Faktoren wie fehlende Sympathie oder die Angst der Vorgesetzten vor Konkurrenz oder dass sie den Neuling nicht mehr „formen“ können, spielen eine Rolle.
Bei der Personalauswahl scheiden sich die Geister: Auf der einen Seite gibt es die Eignungsdiagnostiker, oft Wirtschaftspsychologen, die den Selektionsprozess an strengen Qualitätskriterien orientieren möchten, um die richtige Person für eine Vakanz zu identifizieren. Die Grundlagen der Eignungsdiagnostik, die Anforderungen an den Prozess, Verfahren und die teilnehmenden Personen sind in der DIN 33430 niedergelegt worden. Auf der anderen Seite gibt es Stimmen, die einem guten „Fit“ in die Gemeinschaft oder der richtigen Einstellung die größere Bedeutung beimessen, als den Fähigkeiten und Kenntnissen. Gerne zitiert wird in diesem Zusammenhang der ehemalige CEO von Southwest Airlines, Herb Kelleher: „You don’t hire for skills, you hire for attitude. You can always teach skills.”
Im dritten Artikel zum Thema Diversity als Teil einer nachhaltigen Unternehmenskultur geht es heute um die Frage, welche Rolle eigentlich die Unternehmenskultur bei der Personalauswahl spielen sollte: Ist der Cultural Fit ein geeignetes Auswahlkriterium für neue Mitarbeiter*innen? Macht er die Organisation fitter?
Simon Sineks “WHY” – Religion für die Organisation?
In seinem Bestseller „Start With Why. How Great Leaders Inspire Everyone To Take Action“ (2009) hat Simon Sinek sich mit der Frage auseinandergesetzt, was das Geheimnis extrem erfolgreicher Unternehmensführer ist. Seine Antwort: Sie kennen alle ihr „WHY“ und können es nach außen an Kunden, Mitarbeiter und andere Stakeholder klar kommunizieren. Bereits bei der Unternehmensgründung folgen sie einer Vision, aus der die Werte, Prozesse und Strukturen (How), und schließlich die Produkte (What) abgeleitet werden. Damit dieser „Golden Circle“ aus WHY, HOW, WHAT funktioniert, müssen alle Ebenen im Gleichgewicht sein und in der richtigen Reihenfolge, von innen nach außen, durchlaufen werden. Weniger erfolgreiche Organisationen oder Personen wissen zwar häufig, was und wie sie etwas tun, aber nicht warum.
Eine der Kernaussagen von Sinek ist, dass es nicht ausreicht, ein qualitativ gutes Produkt (WHAT) zu verkaufen. Um wirkliche Loyalität von Kunden und Mitarbeitern zu gewinnen, muss immer auch eine Idee oder Zweck (WHY) mitverkauft werden. Das WHY ist nie das Erwirtschaften von Profit, sondern ein Sinn oder Zweck, der über den Einzelnen hinausgeht. Der wirtschaftliche Erfolg kommt dann als Nebenprodukt.
Hier wird es spannend: Da das WHY die Frage nach dem Existenzgrund der Organisation und ihrem Sinn beantwortet, der noch dazu größer als der Einzelne sein soll, wird das WHY gewissermaßen zu einem „religiösen“ Konzept, der Religion der Organisation. Zumindest wenn sich genug Gläubige finden. Ähnlich wie religiöse oder politische Führer*innen gewinnen Führungskräfte mit einem klaren “WHY” auch an Charisma bei ihren Anhänger*innen.
“You don’t hire for skills, you hire for attitude”
Simon Sinek konkretisiert das Zitat von Herb Kelleher indem er betont, dass nicht die Einstellung der Mitarbeiter an sich (z.B. hohe Arbeitsmotivation), sondern deren Passung zur Unternehmenskultur das Entscheidende sei. Nach Sinek gibt es nur zwei Möglichkeiten, das menschliche Verhalten zu beeinflussen: Durch Manipulation oder durch Inspiration. Manipulativ im Hinblick auf Mitarbeiter wirken z.B. Gehälter, Beförderungsversprechen oder Druck. Kunden lassen sich durch Rabatte und andere verkaufsfördernde Maßnahmen beeinflussen. Manipulationen generieren allerdings nur kurzfristige Erfolge. Auf Dauer können sie ihren Nutzen aushebeln. Mit Bezug auf die Mitarbeitergewinnung heißt das: Wer für Geld kommt, geht für Geld. Kunden gewöhnen sich an Rabatte und wollen den vollen Preis nicht mehr bezahlen. Im besten Fall kommt es zu wiederholten wirtschaftlichen Transaktionen, aber es entsteht keine emotionale Bindung und Loyalität zu den Produkten und der Organisation. Daraus folgt, dass auch im Personalmarketing und bei der Auswahl neuer Mitarbeitender mit dem WHY begonnen werden sollte. Es geht um die persönliche Identifikation der Bewerber*innen mit dem Unternehmenszweck.
Für Simon Sinek sind geteilte Werte für die Personalauswal extrem wichtig, da auf einer geteilten Wertebasis für ihn das gegenseitige Vertrauen beruht. Ohne diese Vertrauensbasis kann es ein Unternehmen nicht an die Spitze schaffen. Eine Person passt dann in eine Organisation, wenn sie die Annahmen und Werte der Kultur teilt, die maßgeblich durch die Gründenden geprägt werden. Die Mitarbeiter*innen müssen für das WHY brennen und Einstellungen mitbringen, die zur Unternehmenskultur passen. Erst wenn es hier eine Übereinstimmung gibt, sollte man sich nach Sinek der Ebene der Skills zuwenden.
“You can always teach skills”
Der Mensch ist lernfähig. Zum Glück, denn das Sachwissen von Spezialisten überholt sich heute immer schneller. Vor diesem Hintergrund gewinnen Einstellungen, kognitive Fähigkeiten und Methodenkompetenz, die ein lebenslanges Lernen begünstigen, an Bedeutung. Wenn die Rahmenbedingungen sich schnell wandeln, muss nicht nur Neues erlernt, sondern auch altes Wissen verlernt werden. Das braucht Neugierde, Flexibilität, Reflexionsvermögen und die Bereitschaft, den Status Quo stetig zu hinterfragen und aus verschiedenen Perspektiven zu beleuchten. Man könnte also sagen, dass tatsächlich Einstellungen wichtiger sind als Skills: Eine positive Einstellung zum lebenslangen Lernen, gepaart mit einigen grundlegenden Fähigkeiten.
Doch ganz ohne Wissen geht es eben doch nicht: Wer sitzt schon gerne auf dem Zahnarztstuhl, wenn der Zahnarzt zwar die richtige Einstellung mitbringt, aber erst noch lernen muss, wo er den Bohrer ansetzt? Haben wir dafür Verständnis, wenn der Pilot erst noch ein bisschen üben muss, bevor das mit der sicheren Landung klappt? You can always teach skills: Das stimmt, aber nur wenn es jemanden im Unternehmen gibt, der den Nachwuchs oder die Quereinsteiger schult und die notwendige Zeit dafür eingeplant wird. Und natürlich ist nicht jede*r für jeden Job gleich gut geeignet.
Fazit: Es kommt immer auf die individuellen Anforderungen, die Komplexität und das Verantwortungsspektrum des Jobs an, wie wichtig theoretische Vorkenntnisse, die praktische Berufserfahrung oder das unternehmensinterne Knowhow sind und wann grundlegende Fähigkeiten oder Einstellungen entscheidender sind und die notwendigen Skills schnell erlernt werden können. Wenn Fachkräfte immer rarer werden, wird das Auf- oder Umschulen sicher an Bedeutung gewinnen. Die Personalauswahl stellt das dann vor ganz neue Herausforderungen, da das einfache Ablesen der Eignung von Bewerbenden aus vorangegangenen Stationen (möglichst beim Mitbewerber) dann nicht mehr funktioniert. Nicht, dass das heute schon ein Garant für Arbeitserfolg ist, aber es ist eben einfach und irgendwie funktioniert es ja auch meistens. Es wird wichtiger werden, Entscheidungen zu treffen, die durch geeignete Auswahlverfahren und Tests fundiert sind.
Zahlen, Daten, Fakten: Eignung von Personalauswahlverfahren
Werfen wir einen Blick auf Zahlen, Daten, Fakten: Eine Studie zur Vorhersagekraft von Personalauswahlverfahren hinsichtlich der zukünftige Arbeitsleistung hat das Forscherteam Frank L. Schmidt, In-Sue Oh und Jonathan A. Shaffer 2016 (in Überarbeitung und Ergänzung einer stark rezipierten Studie von Frank Schmidt und John Hutter aus dem Jahr 1998) veröffentlicht. Die Job Performance wurde anhand von Leistungsbeurteilungen durch die Vorgesetzten gemessen oder auch Produktions- oder Verkaufszahlen sowie andere Quellen herangezogen.
Die Ergebnisse zeigen, dass verschiedene Methoden und deren Kombination sehr unterschiedliche Validitäten erzeugen und dass durch den richtigen Mix verschiedener Verfahren ergänzende Informationen gewonnen werden können. Die höchste Aussagekraft für den künftigen Berufserfolg besitzen Intelligenztests (.67), insbesondere wenn sie mit – in den USA stärker verbreiteten – Integritätstests kombiniert werden. Integritätstest zielen darauf ab, kontraproduktivem Verhalten (Diebstahl, Sabotage, Absentismus, Mobbing etc.) in den eigenen Reihen vorzubeugen und messen u.a. Persönlichkeitsfaktoren wie Gewissenhaftigkeit, Verträglichkeit und emotionale Stabilität. Ich kenne allerdings niemanden, der solche Tests benutzt oder schon mal einen machen musste. Vielleicht bin ich in der falschen Bubble. Die gute Nachricht: Den 2. Platz teilen sich strukturierte und unstrukturierte Interviews, die beide eine Validität von .58. aufweisen.
Alle Anhänger des Cultural-Fit müssen jetzt ganz tapfer sein: Die Passung zwischen Person und Organisation, als Übereinstimmungsgrad zwischen Werten, Zielen, Wünschen und Interessen eines Bewerbers und den Werten, Zwecken und Zielen der Organisation, weist nur eine Validität mit einem r-Koeffizienten von .13 auf. Auch die Passung zwischen Person und Job im Hinblick auf die Möglichkeit, die eigenen Werte, Wünsche und Interessen zu verwirklichen, liegt nur bei .18. Noch schlechter schneiden das Alter sowie grafologische Gutachten bei der Aussagekraft für den zukünftigen Arbeitserfolg ab (.0).
Überrascht das? Eigentlich nicht. Wer gewissenhaft ist, erfüllt seine Aufgaben auch, wenn die persönlichen Ziele und Wünsche durch den aktuellen Job nicht erfüllt werden können. Und wie ist es mit der Leidenschaft für das WHY, der Identifikation mit dem höheren Zweck? Wer im Kirchenchor singt, muss nicht an Gott glauben oder der jeweiligen Glaubensgemeinschaft angehören, um den richtigen Ton zu treffen oder Freude am Singen zu empfinden. Er oder sie kann auch das gemeinsame Ziel des Chors, einen gelungenen Auftritt vor dem Gemeindepublikum, mit hoher Motivation verfolgen. Gläubige dagegen, können nicht automatisch gut singen oder haben vielleicht auch gar keine Lust dazu. Man kann auch inbrünstig falsch singen. Es ist nur – je nach vorhandenen Möglichkeiten – wahrscheinlicher, dass sich die ungläubigen Chormitglieder irgendwann einem weltlichen Chor anschließen, da sie vielleicht auch mal was anderes als Kirchenlieder singen möchten. Ein Gläubiger im gleichen Chor, der sich mit den Zielen der übergeordneten Organisation voll identifizieren kann, ist auf der persönlichen Ebene vielleicht erfüllter und wird weniger schnell einem anderen Chor beitreten. Positive Effekte aus einer Passung zum „Purpose“ oder „WHY“ eines Unternehmens sind meines Erachtens daher eher im Hinblick auf die (emotionale) Mitarbeiterbindung und Loyalität zu erwarten als im Hinblick auf Können und Wollen. Ob sich die längere Verweildauer dann positiv auf das Unternehmen auswirkt oder nicht, hängt davon ab, wie sich die Arbeitsleistung des Mitarbeitenden gestaltet.
Cultural Fit: Spannungsfeld Homogenität und Heterogenität
Im Hinblick auf die Job Performance macht der Cultural Fit die Organisation also nicht fitter. Wenn die kulturelle Passung bei der Auswahl herangezogen werden soll, dann macht das nur Sinn, wenn diese klar definiert ist und daraus Eignungskriterien für das Anforderungsprofil abgeleitet werden können. Denn wo es “menschelt”, wie in der sozialen Situation eines Bewerbungsinterviews, lassen sich die kulturellen Prägungen und die Persönlichkeit des Individuums nicht einfach auseinander dividieren, das geht höchstens auf dem Papier. Damit nicht die besten Kandidaten schon im Vorfeld aussortiert werden, ist es besser, die kulturelle Passung erst nach Prüfung der fachlichen Eignung und nicht auf Basis der Bewerbungsunterlagen zu treffen – schnell werden sonst durch Stereotype Alter, Geschlecht, ethnische Zugehörigkeiten etc. zum Auswahlkriterium.
In der Praxis kommt im Hinblick auf die kulturelle Passung oder den Teamfit meist der “Airport-Test” zum Einsatz: Mit wem würde ich bei Schneegestöber lieber am Flughafen festsitzen? Auswahlkriterien wie Sympathie, Attraktivität und Ähnlichkeit werden hier ganz vorne liegen. Nun kann man fragen, ob Sympathie nicht auch wichtig ist bei der Entscheidung für ein neues Teammitglied? Auf jeden Fall. Im Hinblick auf die Mitarbeiterbindung und das Wohlfühlen im Arbeitsalltag ist sie nicht zu unterschätzen. Im Hinblick auf die Arbeitsleistung und zur Förderung der Diversität einer Belegschaft ist sie allerdings nicht das beste Auswahlkriterium. Darüber muss man sich bewusst sein. Wieder kommt es auf die konkrete Stellenbeschreibung und das Umfeld an, was wichtiger zu bewerten ist.
Kultur homogenisiert
Wer zu stark auf den Cultural Fit als Auswahlkriterium setzt, unterschätzt auch die homogenisierende Wirkung von Kultur. Durch Onboarding-Maßnahmen wird Neulingen das passende Verhalten innerhalb einer Organisation vermittelt. Sie erlernen, „wie man es hier macht“ und werfen dafür alte Überzeugungen über Bord. Erfolgreiche Mitarbeiter*innen werden zu Vorbildern. Oft werden neue Mitarbeiter*innen dabei schneller betriebsblind, als es vielleicht für die Weiterentwicklung der Organisation durch frischen Input gut wäre. Das gilt insbesondere, wenn eine Kultur “stark” ist (im Sinne von homogen, stringent und eindeutig kommuniziert, z.B. auch durch ein klares WHY und HOW). Auch Sympathien wandeln sich im Laufe der Zusammenarbeit, man “wächst zusammen” oder entdeckt die Schattenseiten des anderen. Im Normalfall entwickelt man aber eine gemeinsame Arbeitskultur.
Eine gute Kultur macht die Organisation fitter
Um ihren Fortbestand zu sichern, müssen Unternehmen ihr Umfeld stetig beobachten. Das gilt besonders für Branchen, in denen sich die Rahmenbedingungen (z.B. im Zuge der Digitalisierung) schnell verändern. Auch für Unternehmen gibt es eine Notwendigkeit zum lebenslangen Lernen. Die Unternehmenskultur kann die Lernfähigkeit einer Organisation unterstützen oder hemmen. Die Perspektivenvielfalt einer diversen Belegschaft wirkt hier förderlich.
Die Stärke des Golden Circle von Simon Sinek liegt meines Erachtens in der Abstraktion des Unternehmenszwecks auf ein menschliches Bedürfnis oder zu lösendes Problem, die als motivierendes Stretch-Goal wirken kann. Ein Unternehmen muss sich mit dem richtigen Claim nicht mehr mental oder praktisch auf ein Produkt oder eine Dienstleistung festlegen, sondern kann sich im Rahmen seines WHY stetig neu erfinden, wenn sich das Umfeld verändert (z.B. Mobilitätslösungen schaffen, statt Autos bauen). Um die Innovationskraft eines inspirierenden WHY aufrecht zu erhalten, sollte die Kulturpassung nicht zu eng definiert sein oder an irrelevanten Merkmalen festgemacht werden. Denn an diesem Punkt liegt die Gefahr einer besonders „starken“ (im Sinne einer homogenen) Unternehmenskultur: Blicken zu viele Personen durch die gleiche kulturelle Brille, werden Chancen und Risiken in einem dynamischen, schnellen Veränderungen unterworfenen Umfeld leichter übersehen.
Aus diesem Grund sehe ich es kritisch, wenn Sinek die Bedeutung geteilter Werte bei der Personalauswahl in den Vordergrund stellt – und er meint hier tatsächlich die Basiswerte, die durch ein gemeinsames Heranwachsen (Familie, enge Freunde) erworben werden. Geert Hofstede stellte in seinen vergleichenden Kulturstudien fest, dass sich die Werte von Mitarbeiter*innen verschiedener Unternehmen der gleichen Makrokultur nicht wesentlich unterscheiden. Die Werte der untersuchten Gruppen wiesen größere Unterschiede entlang der Kategorien Geschlecht, Alter, Bildung, Nationalität etc. auf. Zwar prägen die Werte der Gründer*innen die Organisationen, die Unternehmenskultur wird aber über gemeinsame Praktiken (Symbole, Helden, Rituale) etabliert und nicht über geteilte Werte. Und Praktiken lassen sich viel leichter aneignen.
Trotzdem hat der Cultural Fit seine Berechtigung, und zwar insbesondere in Gründungssituationen oder wenn eine Kulturveränderung angestrebt wird, weil die Kultur dysfunktional geworden ist. Wenn neue Werte implementiert werden sollen (z.B. Augenhöhe, Diversity oder Nachhaltigkeit), muss erst der Tipping-Point geknackt werden, bevor die Kultur selbst beginnt, auf die Mitarbeitenden zu wirken, z.B. wenn genug Frauen an der Führungsspitze Einzug gehalten haben und neue Vorbilder zu Nachahmerinnen und Netzwerken führen. Recruiter*innen und Führungskräfte werden dann zu „Gatekeepern“, die vorselektionieren, welche Wertvorstellungen über neue Mitarbeiter in das Unternehmen eintreten. Insbesondere bei Führungskräften ist eine Passung mit den Werten der Organisation wichtig, wenn es nicht zu einer unerwünschten Einflussnahme auf die Unternehmenskultur kommen soll.
Selbstauswahl der Bewerber*innen
Zuletzt noch ein Blick auf die andere Seite, die der Bewerber*innen: Wenn alle in Frage kommenden Unternehmen ähnliche Konditionen und Positionen bieten, werden sie sich für das Unternehmen entscheiden, mit deren Unternehmenszweck (sei es ein WHAT oder ein WHY) sie sich am besten identifizieren können, bei dem “die Chemie” mit den Gesprächspartner*innen gestimmt hat und wo ihnen der erste Eindruck vom Umgang miteinander am besten gefallen hat: Es geht um Identifikation, Sympathie und kulturelle Passung. Eine starke (diesmal im Sinne von gute, funktionale) Unternehmenskultur ist daher immer auch eine, welche die richtigen Mitarbeiter für sich gewinnen und halten kann. Denn jede Organisation muss sich bewusst sein: Jede*r Bewerber*in kann nur ein Jobangebot annehmen, auch wenn alle Unternehmen eine Zusage verdient hätten. Am Ende dreht sich der Diskriminierungsprozess noch einmal um. Eine gute Unternehmenskultur macht die Organisation fitter im Kampf um Talente.
Im nächsten Beitrag untersuche ich, wie Kultur sich ständig in den Personalauswahlprozess einmischt – bewusst oder unbewusst. Du willst keinen Beitrag von Mission Sustainable mehr verpassen? Melde dich gleich über die Seitenleiste zum Newsletter an.
[…] In Vorstellungsgesprächen wird die Unternehmenskultur oft explizit thematisiert. Bewerber fragen danach, Unternehmen werben mit ihr und vertrauen darauf, dass Mitarbeitende aus einem ähnlichen Umfeld (z.B. Start-up oder Konzern) sich leichter in die Organisation einfinden – Stichwort Cultural Fit. […]